Deutsches Rechtswörterbuch (DRW): Kanzlei
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A Der in Deutschland urkundlich nicht vor der 2. Hälfte des 12. Jhs. mit dem Begriff cancellaria und erst seit dem 14. Jh. als cantz(e)lige, cancellye, can(t)zli, can(e)zley o.ä., für die ältere Zeit von der Urkundenforschung mit dem Verabredungsbegriff "Kanzlei" bezeichnete Personenkreis, dem die Erledigung der bei Gerichtsbarkeit, Rechtsetzung und Verwaltung anfallenden Schreibarbeiten oblag, bildete urspr. eine kleine, locker gefügte Gruppe schreibkundiger, meist romanischer Notare (bei den Merowingern und Langobarden) oder besonders geschulter geistlicher Schreiber (im karolingischen Reich) und verfestigte sich während des hohen und späten MA.s im Zuge eines langen Entwicklungsprozesses mehr und mehr zu einer zentralen verfassungsrechtlichen Institution mit durchgebildeter Organisation und genau umrissenem, nun nicht mehr auf die bloße Schreibarbeit, Registrierung udgl. beschränkten Geschäftsbereich (s. unten unter B). Dabei diente der aus der Hofkapelle herauswachsenden, unter der Leitung eines (seit dem 9. Jh. cancellarius genannten) Kapellans stehenden Kanzlei des deutschen Königs (Reichskanzlei) die päpstliche Kanzlei als Vorbild, während die späteren Kanzleien der deutschen (weltlichen und geistlichen) Territorialherren und Städte im wesentlichen der Reichskanzlei nachgebildet waren
- I Päpstliche Kanzlei
II Reichs(hof)kanzlei; Reichstagskanzlei, Reichskammergerichtskanzlei
III Kanzlei der Reichsfürsten und anderer (weltlicher und geistlicher) Territorialherren und Grundherrschaften, meist durch Weiterentwicklung der älteren einfachen Schreibstube zur obersten Landesbehörde ausgebildet im Zusammenhang mit der Entstehung der Landeshoheit und dem Ausbau der Landesherrschaft während des späten MA.s und im Zuge der Neuorganisation der territorialstaatlichen Verwaltung zu Beginn der Neuzeit
IV städtische Kanzlei
B rechtliche Funktion der Kanzlei (unter Ausschluß der päpstlichen Kanzlei)
- I Regierungs- und Verwaltungsbehörde
- 1 Leitung der Staatsgeschäfte allgemein
- 2 Finanz- und Vermögensverwaltung einschließlich der Lehen
- 3 Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung
- 4 Aufsicht über Erziehungswesen und Religion
- 5 Aufsicht über bestimmte Organe der Rechtspflege und Verwaltung
- 1 sachliche Zuständigkeit
- a Schlichtung von Streitfällen im Güteverfahren
- b Zivil- und Strafsachen in erster Instanz und Vollstreckungsmaßnahmen
- c Ehesachen (in protestantischen Ländern)
- d Appellations-, Berufungsinstanz
- 2 bes. Zuständigkeit für Prozesse best. Personengruppen
- 1 beim Reichstag
- 2 bei Regierung und Verwaltung in Reich und Territorien
- 3 bei einer Stadt
- 4 bei Gericht
II Gericht
III Notariat und Führung der öffentlichen Bücher
IV Geschäftsstelle, Sekretariat
V Registratur, Archiv
C Kanzlei als Gebäude und Tagungsort für