Deutsches Rechtswörterbuch (DRW): Kanzleischreiben

Kanzleischreiben

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im Sprachgebrauch der neuzeitlichen Staatsrechtslehre insbesondere des 18. Jh. ein von einer landesherrlichen Kanzlei ausgefertigtes landesherrliches Schreiben, das als Schriftstücktyp eigener Art, im Gegensatz zum Handschreiben und zum Brief, durch gesteigerte Förmlichkeit (Kanzleizeremoniell hinsichtlich Aussteller und Empfänger) gekennzeichnet ist, worin der höhere Rang des Ausstellers oder die zumindest erforderliche Gleichrangigkeit zwischen Aussteller und Empfänger zum Ausdruck kommen soll; in der Form des Kanzleischreibens spielen sich seit dem 17. Jh. der diplomatische Schriftverkehr und die fürstliche Familienkorrespondenz (hier später Handschreiben) ab; in einem allgemeineren Sinne wird aber auch schon in der Reichspublizistik des 18. Jh. und später unter Kanzleischreiben jedes förmliche und im Wir-Stil verfaßte Schreiben ,großer Herren' einschließlich der Reskripte (Kanzleireskript), Mandate, Patente, und dergleichen verstanden
vgl. Handschreiben, Kanzleiausfertigung, Zeremonialschreiben-
Sachhinweis: Lünig,RKanzlei; J.Chr.Lünigs ... Vorrath wohl-stylisierter Schreiben, welche v. Kayser, Königen, Chur- u. Fürsten... 1713-1737 abgelassen worden (1737); Moser,Ahndung; Moser,Hofsprache; Moser,Kanzlei 342-345, 355-359; Beck,Staatspraxis 15f., 17-35; Pütter,JurPraxis II2 213-292; Scheidemantel,Repert. I 513f.; Ahnert,Lehrbegriff II 493-604; Steinhausen,Brief I 40-62; ForschBrandenbPr. 22 (1909 536; ArchUrkF. 10 (1928) 499; GoetheAmtlSchr. I p. 55-58; ArchivarHistoriker 441-457; ArchZ. 53 (1957) 33, 42-46; Meisner,Archivalienkunde 130-136

I zum Begriff

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  • [als Lehrgegenstand der 1749 von J.J. Moser errichteten Kanzleiakademie:] cantzley-schreiben. was ein cantzley-schreiben seye? wann sie gebraucht werden? was dabey zu beobachten seye ...
    1749 Moser,Kanzleisachen 8 [vgl. Moser,Staatsakademie 6 und 14]
I 1 zum Begriff
  • grosse herren pflegen insgemein zweyerley arten von schreiben, nemlich cantzley- und handschreiben an andere abgehen zu lassen. in denen cantzley-schreiben werden nebst dem wir die voͤlligen titulaturen des schreibenden wie auch dessen, an den geschrieben wird, gebrauchet; man bedient sich der salutation, ingleichen der anerbietung derer dienste, und am schlusse wird vor der courtoisie wiederum der voͤllige titel des schreibenden gesetzet
    1737 J.Chr. Lünig, Vorrath wohlstylisierter Schreiben, welche v. Kayser, Königen, Chur- u. Fürsten ... 1713 - 1737 abgelassen worden (1737) 121
  • zwischen gewoͤhnlichen canzley- so dann den hand- und eigenhaͤndigen schreiben grosser und sorgfaͤltiger unterschied gemacht werden muß
    1750 Moser,Hofsprache 28
  • cantzley-schreiben seynd solche schreiben regierender grosser herrn, darinn das voͤllige cantzley-ceremoniel beobachtet wird
    1750 Moser,Kanzlei 355
  • canzeleyschreiben, lettre de conseil, de chancellerie; in welchen man, seine hoheit zu zeigen, ... in plurali von sich selbst spricht, auch das ceremoniell sowohl in ansehung des anderen als seiner selbst ... auf das genaueste haͤlt
    1754 Beck,Staatspraxis 15
  • man muß ... die briefe großer herren weiter in canzley- und cabinets- oder handschreiben eintheilen: und beyde arten finden sowohl in wohlstands- als geschaͤftsangelegenheiten statt
    1755 v.Justi,Schreibart 188 [vgl. ebd. 188-191]
  • man begreift ... alle solche schreiben, die mit der gewoͤhnlichen begruͤssungs-formel sowohl von ganzen collegiis als von grossen herren, und zwar von letztern mit beyfuͤgung ihres titels unter der formel von gottes gnaden, und in plurali erlassen werden, unter dem namen der canzleyschreiben, in denen uͤberhaupt alle regeln des canzley-ceremoniels genau pflegen beobachtet zu werden
    1767 Pütter,JurPraxis II 86
  • kanzelleyschreiben ... ein aus einer kanzelley erlassenes, ausgefertigtes schreiben, in engerer bedeutung ein aus der geheimen kanzelley eines großen herren erlassenes schreiben
    1775 Adelung II 1498
  • 1782 Scheidemantel,Repert. I 513
  • 1793 Bischoff,Kanzlei. I 333
  • ein canzleischreiben ... ist ein feyerliches schreiben, welches eine souveraine macht mit voͤlligem ceremoniel eines regenten an andere ergehen laͤßt. mit uebergehung der bey dieser art von schreiben zu beobachtenden formalien bemerken wir hier nur, daß 1) der herr, welcher ein solches schreiben erlaͤßt, ein souverain oder wenigstens ein halber souverain ist; 2) an hoͤhere personen solche schreiben nicht erlassen werden und es als ein zeichen einer besondern distinction anzusehen ist, wenn hoͤhere und niedere dergleichen schreiben erlassen; 3) der inhalt wirkliche staatsangelegenheiten sowohl als auch bloße ceremonialsachen, z.b. notificationen und gratulationen, betreffen kann
    1800 RepRecht V 142
  • das kanzeleischreiben ... ein in einer kanzelei ausgefertigtes und daraus erlassenes schreiben
    1808 Campe II 885
II
Anwendungsbereich
  • ich [Kaiser] habe ... aus eurem [König Philipp] eigenhändigen als kanzleischreiben ... gern verstanden, dass sich das bewusste negotium [Heirat] so wohl anlasse
    1663 Leopold I. Privatbriefe I 9
  • 1673 Leopold I. Privatbriefe II 320
  • ausschreiben zu denen crays-taͤgen ... in form eines cantzley-schreibens an den stand, welcher beruffen wird, abgefasst seynd
    1746 Moser,StaatsR. 28 S. 158
  • die circularschreiben finden sowohl bey canzeley- als handschreiben statt
    1754 Beck,Staatspraxis 48
  • werden die creditive in gestalt der canzeleyschreiben ausgefertiget
    1754 Beck,Staatspraxis 240
  • wenn ein staat oder regent fuͤr gut befindet, seinen gesandten zuruͤck zu berufen, so wird dem hofe, an dem er bisher gestanden hat, in einem canzeley- oder cabinetschreiben nachricht davon ertheilet, welches man den rappell zu nennen pfleget
    1754 Beck,Staatspraxis 281
  • werden die reichstaͤge nicht mehr ... durch ein generaledict oder patent ausgeschrieben, sondern jeder reichsstand insbesondere wird durch ein schriftliches oder auch gedrucktes canzeleyschreiben berufen
    1754 Beck,Staatspraxis 316
  • diese [vicariatspatente] haben die ganz besondere gestalt eines offenen briefes und canzeleyschreibens zugleich
    1754 Beck,Staatspraxis 381
  • sie [requisitoralien] haben entweder die gestalt eines canzeley- oder handschreibens 
    1754 Beck,Staatspraxis 388
  • von canzleyschreiben sind rescripte eigentlich nur als eine besondere gattung anzusehen, indem man darunter nur schreiben an solche personen, denen der schreibende zu befehlen hat, verstehet
    1767 Pütter,JurPraxis II 87
  • pflegt der kaiser seine reichsstaͤnde nicht mehr durch edikten oder patenten zu berufen, sondern durch gedrukte oder geschriebene canzleischreiben, in welchem die worte: gebieten, heischen, befehlen etc. wenigstens gegen die maͤchtigern mitstaͤnde mit gefaͤlligern ausdruͤkken verwechselt werden
    1782 Scheidemantel,Repert. I 279
  • das unter souverainen staatenvereinen und staaten übliche staats- und völker-ceremoniel ... in staatsschriften, in staats- oder canzleischreiben ..., in cabinet- oder handschreiben und in eigenhändigen schreiben findet in der regel statt auch für den teutschen bund, und nicht nur unter den bundesgenossen unter sich und in ihren eigenen staaten, sondern auch mit auswärtigen souverainen staaten
    1817 Klüber,ÖffRecht 187
  • [Überschrift:] kanzeleischreiben [aus dem Jahr 1808] an den generalsuperintendenten, betr. die fuͤrbitte fuͤr das koͤnigl. haus im kirchengebete
    1827 SystSammlSchleswH. I 4 [vgl. ebd. 356]
III zu den bei Kanzleischreiben zu beobachtenden Formalien (Titulaturen, Wir-Stil, Gottesgnadenformel, Grußformel und Anrede, Ehrenwörter, Sprache, Verbindlichkeit der Diktion, Courtoisie: Schlußwunsch oder -kompliment mit Wiederholung der Anrede, Datierung, Unterschrift, Siegel und Verschluß): 1645 ArchÖG. 111 (1929) 643
unter Ausschluss der Schreibform(en):