Ulrich Tenglers Laienspiegel: Ein Rechtsbuch zwischen Humanismus und Hexenwahn

hrsg. von Andreas Deutsch
im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Akademiekonferenzen Bd. 11
536 Seiten, 75 teils farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-8253-5910-2
Heidelberg 2011

Buchcover: Andreas Deutsch (Hrsg.), Tenglers Laienspiegel (2011) Ausführliches Inhaltsverzeichnis

Handzettel mit weiteren Informationen zum Download (pdf)


Der „Laienspiegel“ des Ulrich Tengler (ca. 1441–1521) gilt als das bedeutendste
Rechtsbuch der beginnenden Neuzeit. Sein Ziel war, das rezipierte römisch-kanonische Recht den damals oft unstudierten Rechtspraktikern in klarem Deutsch zu vermitteln – eine Aufgabe, die Sebastian Brant im Vorwort mit den Leistungen des Herkules verglich. Dass der „Laienspiegel“ Erfolg hatte, belegt seine weite Verbreitung, u.a. in zahlreichen „Raubdrucken“. Aus heutiger Sicht beeindrucken die vielen bedeutenden Holzschnitte, etwa von Hans Schäufelin. Der dialogisch ausgestaltete „Prozess gegen den Teufel“ und das gereimte „Weltgerichtsspiel“ wecken literaturhistorisches und theologisches Interesse. Die erst im „Neuen Laienspiegel“ (1511) abgedruckten Ausführungen zur Hexerei geben ebenso Rätsel auf wie der zum Teil gehässige Abschnitt zum Wucher der Juden.
Die vorliegende erste fächerübergreifende Gesamtschau auf den „Laienspiegel“ beruht auf den Ergebnissen einer internationalen Fachtagung der „Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch“ zum 500. Jubiläum des Laienspiegel-Erstdrucks (1509).



Aus dem Inhalt:

Andreas Deutsch

Tengler und der Laienspiegel – zur Einführung

(Zitat aus: Andreas Deutsch [Hrsg.], Ulrich Tenglers Laienspiegel - Ein Rechtsbuch zwischen Humanismus und Hexenwahn, Heidelberg 2011, S. 11-38)

Als „lieblich und geschicklich“ pries der berühmte Straßburger Humanist und Narrenschiff-Verfasser Sebastian Brant den nunmehr 500 Jahre alten Laienspiegel – das wichtigste Rechtsbuch der beginnenden Neuzeit. Der Höchstädter Landvogt Ulrich Tengler (1440/45-1521/22) sucht in seinem 1509 erstmals gedruckten Werk den komplizierten Stoff des rezipierten römisch-kanonischen Rechts in einer Gesamtschau mit dem von ihm vorgefundenen einheimischen Recht in möglichst allgemeinverständlicher deutscher Sprache darzustellen. Dies war gewiss keine leichte Aufgabe, Brant vergleicht sie – in rhetorischer Überspitzung – mit den Leistungen des Columbus und des Herkules. In vielen Druckausgaben, auch zahlreichen Raubdrucken erschienen, prägte der „Laienspiegel“ zusammen mit dem „Klagspiegel“ des Conrad Heyden (verfasst schon um 1436) die sogenannte „populäre Rechtsliteratur“ (Stintzing) der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Beide Bücher zählen damit zu den exponierten Werken der „Rezeptionszeit“, die – gemeinsam mit der zum Teil parallel laufenden Reichsreformepoche – eine der entscheidenden Umbruchphasen in der deutschen Rechtsgeschichte darstellt, wie Adolf Laufs in seinem einführenden Beitrag „Zeit des Umbruchs – Die Rezeption des römischen Rechts in Deutschland“ aufzeigt. Der Heidelberg Rechtshistoriker weist zu Recht darauf hin, dass die Rolle gerade der allgemeinverständlichen deutschsprachigen Rechtsliteratur für die Akzeptanz des zuvor nur an den Universitäten gelehrten römisch-kanonischen Rechts nicht unterschätzt werden darf.

Ziel des Laienspiegels war es nämlich, das römisch-kanonische Recht – aber auch den Wertekanon der Zeit – den zu dieser Zeit noch häufig un- oder halbstudierten Rechtspraktikern zu vermitteln, römisch-kanonisches Recht also gerade in Schichten hineinzutragen und dort zu verankern, in denen es noch weitgehend unbekannt war und bisweilen sogar auf Unverständnis stieß. Hierzu sollten neben der allgemein gut verständlichen Augsburger Schriftsprache, einer präzisen Gliederung des Stoffes und einer praxisorientierten, (bisweilen vielleicht sogar überzogen) einfachen Darstellung des Rechtsmaterials vor allem auch die Beigabe zahlreicher Illustrationen dienen: Holzschnitte von zum Teil ungewöhnlich hoher Qualität, die den Laienspiegel (vor allem in seiner [Beginn S. 12] erweiterten Ausgabe von 1511) zu einem der künstlerisch bedeutendsten gedruckten Rechtsbücher machen. Für Literaturwissenschaft und Theologie von besonderem Interesse sind einige eher literarische Abschnitte im Laienspiegel, so ein – in dialogischer Form ausgestalteter und mit Regieanweisungen versehener – „Teufelprozess vor dem Weltgericht“ und (in der erweiterten Ausgabe von 1511) ein gereimtes „Weltgerichtsspiel“. Hervorzuheben sind schließlich die zum Teil gereimten Vor- und Beschlussreden.

Der Verfasser Ulrich Tengler

Ulrich Tengler, urkundlich oft auch Tenngler, wird zwar nicht als Autor auf dem Titelblatt des Rechtsbuchs angeführt, aber in allen Vorreden und auch in den das Buch abschließenden „Laienspiegel-Sprüch“ als solcher bezeichnet. Wie Tengler selbst schildert, hat er sein Werk als Ergebnis jahrelanger Sammeltätigkeit in verschiedenen juristisch geprägten Berufen selbständig verfasst. Der Laienspiegel ist somit das Werk eines Praktikers; Tengler verfügte über gute Lateinkenntnisse, hat aber kein Rechtsstudium absolviert.

Wichtige neue Erkenntnisse zur Person Ulrich Tenglers sind insbesondere den intensiven Forschungen des ehemaligen Augsburger Archivdirektors Reinhard H. Seitz zu verdanken (vgl. seinen Beitrag: „Zur Biographie von Ulrich Tenngler, Landvogt zu Höchstädt a.d.Donau und Verfasser des ‚Laienspiegels’ von 1509“); ebenso konnte de Mediävist und Humanismusexperte Franz Fuchs („Jacob Locher Philomusus und Ulrich Tenngler“) – auch hierzu – wichtige neue Erkenntnisse beitragen.

Tengler ist wohl schon kurz nach 1440 geboren. Rottenacker, das bislang als sein Geburtsort gehandelt wurde, scheint eher unwahrscheinlich [...]

[
S. 14 unten:]

Wie Seitz und Fuchs in ihren getrennten Studien übereinstimmend belegen können, starb Tengler nämlich durchaus nicht Anfang 1511 (so der bisherige Forschungsstand), sondern mehr als zehn Jahre später – nach Seitz in der zweiten Hälfte des Jahres 1521 oder Anfang 1522. Der Grund, weshalb Tenglers Tod im Jahre 1511 bislang als sicher erachtet wurde, ist ein im „Neuen Laienspiegel“ von 1511 abgedruckter lateinischer Sechszeiler mit der Überschrift [Beginn S. 15] „Epitaphion Udalrici Tenngler“. Nun muss „Epitaph“ um 1500 aber keineswegs immer Grabinschrift oder Nachruf bedeuten, sondern wurde – wie Fuchs aufzeigt – auch im Sinne von Aufschrift/Inschrift verwendet.[1] Es gibt zudem neue Belege, wonach der zwischen 1511 und 1521 aktive Ulrich Tengler mit dem Laienspiegel-Autor identisch ist (und es sich nicht etwa um den gleichnamigen Sohn handelt).

Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Beurteilung der Rolle von Tenglers Sohn Christoph bei der Entstehung des „Neuen Laienspiegels“. Christoph war um 1511 bereits ein bedeutender Mann. Nachdem der Geistliche schon einige Zeit an der Ingolstädter Artistenfakultät gelehrt hatte, war er 1510 zum Doctor decretorum promoviert worden, stieg 1511 sogar zum Rektor der Universität Ingolstadt auf. [...]



[1] Damit wird auch die Datierung des von Kleinschmidt vorgestellten Gedichtes „Epitaphium Ulrici Tenngler“ (s.o.) hinfällig.